Das Ja nach den Neins
Ich werde manchmal gefragt, ob ich ein Atelier habe und Ausstellungen hatte.
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Nein, weder noch: Ich begnüge mich mit dem großen Wohnraum in meiner Wiener Dachgeschoßwohnung mit Schrägfenstern nach Westen.
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Zu einer Ausstellung ist es nicht gekommen, weil ich mich fürchte vor dem übersättigten Kunstmarkt, dem rasanten und lauten Zeitgeist und weil Selbstzweifel ob Mangels an Können und Originalität mich zögern lassen.
Warum zeichne und male ich überhaupt?
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Die Kunst ist nicht mein Beruf, ich bin dazu nicht ausgebildet und brauche damit kein Geld zu verdienen.
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Die Kunst ist nicht mein Hobby, kein vergnüglicher Zeitvertreib, keine entspannende oder spannende Abwechslung zu Alltagsstress oder Fadesse.
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Auch therapeutisches Ausdrucksmalen ist nicht mein Weg.
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Noch bin ich ein Genie mit Erfindungsgeist, Elan, Tatendrang und virtuosen Fähigkeiten.
Was ist es dann, das mich bei meinen Zeichen- und Malstudien seit Jahrzehnten beschäftigt, frustriert, beglückt?
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Was nachklingt von dem, was mein längst verstorbener Lehrer Josef Gabler, mein greiser Meister, mir vor Jahrzehnten anvertraut hat. Sein Können, die Begeisterung für seine „Schwebeschau“, seine Experimentierfreude und sein Zuspruch beseelen mich bis heute.
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Ich spüre in der Malerei Übergänge, Zusammenhänge zwischen der stofflichen und der geistigen Welt. Dem äußeren Erscheinungsbild liegen innere Gesetzmäßigkeiten zugrunde. Wenn die „große Form“ überzeugt, Beziehungen, Zwischenräume und Schatten wirken, wenn die Farben klingen, beginnt die Welt zu singen. Diesen Geheimnissen und jenen der Schwebeschau auf der Spur zu bleiben, lohnt alle Versuche und jede Mühe.
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Ich fühle mich mit meinen Bildern in guter Gesellschaft. Sie sind wohlwollende und aufmunternde Zeugen meiner Beschränkungen und Bemühungen, trotzdem weiter zu kommen. Und wenn auch langsam und zögerlich, so zeichnet sich doch ein Weg ab auf meiner Suche nach Vertiefung und Konzentration und ihrem Ausdruck in meinen Bildern.
Evelyn Ram Wien, Februar 2022
FROM NO TO YES
(for my friends and family in India)
I am asked now and then whether I have a studio and had exhibitions.
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Neither nor: I manage with the living room in my Vienna top floor flat with skylight windows towards west.
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I never sought an exhibition, there are self-doubts about my painting skills and originality and I am scared of the spirit and taste of the time and much competition in an oversaturated art market.
Why then do I draw and paint?
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I am not trained to paint, it’s not my profession. I need not sell, what I paint.
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It’s neither my hobby nor a pleasant pastime or change of daily routine or boredom.
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No therapeutic art of expression.
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Alas also no original vital genius’ virtuosity.
What then is it that since decades makes me paint and frustrate and fortunate?
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Decades back I got to know late Josef Gabler, then an aged painter, and his „levitation view“. He agreed to teach me. His mastery, enthusiasm, inventiveness and encouragement are present still.
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While painting I feel connections and transitions between the material world and the non material realness behind. There are rules behind out-side appearance. When the essential shape of the whole fits, relations, space between and shades interact, when the colours are ringing, the world starts singing.
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I feel in good company with my pictures. They are well meaning, encouraging witnesses of my limitations and endeavours to move ahead on a path of absorption and concentration quite worthwhile all efforts and failures.
Evelyn Ram Vienna, February 2022
Stillleben
Außenwelt
Die Natur dürfe nicht nachgeahmt, ihre Erscheinung dürfe nicht mimetisch wiederholt werden, vielmehr müssten die hinter dem Sichtbaren verborgenen Aufbauprinzipien analog in formalen Strukturen ausgedrückt werden. (nach Braque/Cézanne)
Illustrationen
Illustrationen zum „Dashavatara Stotram“
(Madhavan & Evelyn)
Das „Dashavatara Stotram“ ist eine Sanskrit-Hymne zur Verehrung der zehn Herabkünfte/Inkarnationen Vishnus auf der Erde zur Unterstützung der guten Kräfte - und zwar immer dann, wenn das „Böse“ dort überhand nimmt.
Schwebeschaustudien
„MALSITUATION NACH VERMEER“ (Wien, 17.5.2017)
Die „große Form“ besteht vor allem in den Beziehungen der beiden Figuren zueinander: die Ausrichtung der Köpfe, der Nasen, der Schultern und Arme, der Verschiedenes haltenden Hände, des Unterkörpers und der Füße. Wie stehen die Leinwand im Bild und das lichte Buch zueinander, wie Trompete und Malstab, wie die Füße… Nicht nur der Fensterstandpunkt, auch die Perspektive dienen schon sehr lange als Vorlage. Mehr Freiheit und Erfindungsraum tun sich in der Schwebeschau auf, beim Vermeer-Versuch klingt das an: Der Malerschemel steht unten, die Staffelei ragt auf. Verbunden sind sie am Boden durch Licht und Schatten. Dazwischen der Maler mit seinem Modell, das er fast „leibhaftig“ auf sein Bild geholt hat. Im Zentrum die Hände und das, was sie halten: die linke Hand des Malers hält den Malstab, der sich von links unten nach rechts oben diagonal im Bildraum ausrichtet. Auf dem Stab liegt die rechte Hand behutsam auf, einen Pinsel schräg zum Malstab haltend. Der Pinsel liegt am Buch des Modells auf, das dieses wiederum mit seiner linken Hand umfasst hält. Hand und Buch führen zum rechten Arm des Modells, das in dieser Hand eine Trompete hält. Die horizontale Ausrichtung der Trompete steht in Beziehung zum aufsteigenden Malstab. D.h. es gibt verschiedene Richtungen zueinander, die den Raum gliedern und schaffen. Die verschiedenen Blickwinkel der Schwebeschau sind noch recht konventionell und gefällig wieder zusammengefügt - hier gibt es noch jede Menge Erfindungsspielraum in der Komposition. Die Farben bzw. Farbpartien/flächen dienen dem Gegenstand und orientieren sich an diesem. Der nächste Schritt besteht darin, die Komposition gewagter/ experimenteller/erfundener anzulegen und die Konturen aufzuweichen, indem der Weg des Lichts zum Thema wird, wodurch der konkrete Gegenstand sich unterordnet…
STUDY OF „LEVITATION VIEW“ AFTER JAN VERMEER’S „THE ARTIST’S STUDIO“ (1665/66)
To apply Gabler’s „levitation view“ means to imagine oneself floating in space and hence being able to observe all objects from various sides. These different views arranged together in one picture open new possibilities to observe, explore and compose.
Schwebeschaustudien nach
Fra Angelicos „Verkündigung“ (1433/34)
Eine Möglichkeit, das Gemälde aus der Schwebeschau neu zu studieren, besteht darin, mich in der Vorstellung in den Zwischenraum zwischen Engel Gabriel und Maria zu begeben:
Maria blickt über die Lektüre hinüber zur Erscheinung. Von außen schräg über den Engel strahlt gebündeltes Licht zum Herzen Marias.
Spannend sind die Position und Ausrichtung der Köpfe, Profile, Arme und Hände zueinander im Zwischenraum der Verkündigung.
Levitationview-Studies after
Fra Angelico’s „Annunciation“ (1433/34)
(the announcement of the incarnation of Jesus by the angel Gabriel to Mary / Luke 1: 26-38)
I imagine myself present in the empty space between angel and Mary:
Mary is directed towards the shining appearance. From outside a stream of light is directed towards the heart of Mary. Position and direction of heads, profiles, arms and hands of both towards each other are an ample scope of confusion and exploration…
Giovanni Bellini "Junge Frau bei der Toilette"
RUHE UND UNRUHE
Bellinis Bild „Junge Frau bei der Toilette“, das letzte Bild des Malers und eines der wenigen mit nicht religiöser Thematik, strahlt Ruhe aus:
Sie sitzt fest auf der Horizontalen im Lot, um ihren um die Achse aufgerichteten Körper schrauben sich Seidentuch und Arme spiralig hinauf bis zum Scheitel.
Das Betrachterauge blickt ungehindert neben der Frau durch einen lichten Fensterausschnitt in der dunklen Wand sowie in einen Spiegel an der Wand mit der Hinteransicht des geneigten Kopfes. Sie wiederum blickt in einen kleinen Handspiegel, der Gesichtsausdruck schwer deutbar. Durch die Vorstellung, mich über der und um die Person schwebend zu befinden, ergibt sich eine neue Situation: mehr Darüber (Kopf, Wandspiegel, linker Arm) und Darunter(rechte Schulter mit Seidentuch zum rechten Arm, dessen Hand das Spieglein hält). Das ergibt eine neue Dynamik, neue Kräfteverhältnisse. Es entstehen neue Beziehungen, Zwischenräume und Wirkkräfte auf der Suche nach neuer Ruhe.